Chiapas - ein gallisches Dorf

Vazquez Montalbäns mitreißender Bericht über die Revolution nach der Revolution von Clemens Berger

In der neuen Weltordnung des Finanzkapitals, der Multinationalen Konzerne und des Verlusts nationalstaatlicher Souveränität haben sich neue Formen des Widerstands der Globalisierten gegen die Globalisierer herausgebildet, Netzwerke der Marginalisierten, die nicht unter die Räder des Eilzugs Globalisierung geraten wollen. Das „Y Basta!“ der Zapatistischen Befreiungsarmee vom 1. 1.1994, als gleichzeitig mit dem Inkrafttreten der Nafta und Mexikos formalem Eintritt in die Erste Welt eine Guerrillagruppe in Chiapas dem Staat den Krieg erklärte, markiert einen Eckstein im Widerstand gegen den Neoliberalismus.

,,Als Subcomandante Marcos auf dem Markt der Mythen auftauchte, zu Pferd, maskiert und mit der Stimme eines Dichters, wurde er wie eine wunderbare Überraschung empfangen, die das Millennium noch bereit hielt" schreibt der spanische Schriftsteller Manuel Väzquez Montalbän, der den Subcomandante in Chiapas getroffen und ein wunderbares Porträt von Marcos, Taktik und Theorie des Zapatismus gezeichnet hat; überdies bietet der Bericht eine gute Zusammenfassung der lateinamerikanischen Literatur zum zapatistischen Aufstand. Skurril genug, wie das Treffen im Lakandonischen Urwald zustande kam. Montalbän erhält einen Brief von Marcos, Indem dieser unter anderem mitteilt, welch Hungergefühle Montalbäns Gourmet-Detektiv Pepe Carvalho im Guerrillero geweckt habe. Subcomandante Marcos, der urbane Intellektuelle, über dessen Identität die Welt - trotz des Gerüchts, er sei der Sohn einer konservativen Möbelhändlerfamilie - noch immer rätselt, der mit einer anfangs sechsköpfigen Guerrilla in Kontakt mit der Indigenen Bevölkerung tritt, um schlussendlich den Aufstand gegen den nivellierenden Neoliberalismus zu wagen, Ist nach Che Guevara der neue Heros des lateinamerikanischen Widerstands. Und doch ist Marcos anders. Der Subcomandante, marxistisch-strukturalistisch geschult, formuliert den Zapatismus als Amalgam verschiedenster widerständiger Theorien, gewissermaßen den Bogen spannend von Marx bis Foucault. Das radikal Neue am Auftreten der Zapatistischen Befreiungsarmee war deren Instrumentalisierung der Massenkommunikationsmittel, die Marcos selbst als die wichtigsten Warfen unserer Zeit bezeichnet. Kommuniqués der Aufständischen und Bücher von Marcos, alles ist im Internet www.ezln.org zu finden.

Daneben ist ein Poet des Widerstands, der eine neue Sprache in den politischen Diskurs einführte. In der Interaktion mit den Indigenen veränderte sich die anfangs klassische revolutionäre Agitation, Marcos schöpft aus dem reichen Fundus der indigenen Mythologie und füllt, so seine Theorie, abgenutzte Worthülsen mit neuer Bedeutung. Ein Guerrillero, der sich Subcomandante nennt, von gehorchendem Befehlen" spricht und obendrein Fabeln schreibt, ist vielen verdächtig, zumal die Zapatistische Befreiungsarmee nicht die Machtergreifung anstrebt, sondern die formale Demokratie in eine reale umwandeln will. Wie in Alice im Wunderland möchte Marcos durch den Spiegel hindurchgehen, hinter ihn sehen und das Spiegelbild verändern. Die Zivilgesell schafft, die Marginalisierten, sie alle sollen erkennen, dass der Neoliberalismus die Welt In eine Sackgasse führt, aus der auszubrechen immer schwieriger wird.

Chiapas ist ein historisches Ereignis, ,,die erste exemplarische Kritik an der Globalisierung" (Montalbän), dessen Ausgang noch höchst ungewiss Ist. Zweifellos, erreicht wurde einiges. Die 71 Jahre allein regierende PRI wird 2000 abgewählt; 1999 unterstützen an die drei Millionen MexikanerInnen eine zapatistische Befragung; der neue Präsident Fox bekommt in einem Kommuniqués vom 22.12.2000 zu hören, er habe mit seinem Amt auch einen Krieg geerbt. Wie formuliert der Subcomandante des modernen gallischen Dorfes? – „Jemand hat behauptet, gegen die Globalisierung anzugehen sei das Gleiche, wie gegen die Schwerkraft anzugehen. Wenn das so ist, dann meine ich eben: Nieder mit dem Gesetz der Schwerkraft“.

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